In diesem Beitrag möchte ich auf Vorgänge eingehen, die im Spielfilm „Bach – Ein Weihnachtswunder“ eine Rolle spielen, die Johann Sebastian Bach betrafen (deshalb die Überschrift), aber auch für seine Frau Anna Magdalena von großer Wichtigkeit waren.
Als sie 1721 heiratete, arbeitete Johann Sebastian am Hofe von Anhalt-Cöthen und bekleidete dort die Position eines Capellmeisters . Mit ihrer Eheschließung trat sie „in die Würde ihres Mannes“ ein und wurde die Frau Capellmeisterin. (Amaranthes 1739, Spalte 497) Das war für sie ein beträchtlicher sozialer Aufstieg. Die Titel ihres Mannes waren für sie weiterhin von Bedeutung und auch als Witwe behielt sie alle „Rechte, Ehren und Würden, mithin auch den Gerichts-Stand“ ihres verstorbenen Mannes. (Zedler 1731–1754, Band 57, Spalte 1939)
1723 zog die Familie nach Leipzig, wo Johann Sebastian als Thomaskantor Lehrer an der Thomasschule und als Musikdirektor der Stadt für die Musik in den Hauptkirchen zuständig war. Den Capellmeistertitel des Köthener Hofes durfte er aber weiterhin führen. In einem Lexikon, von dem der entsprechende Band 1745 in Leipzig und Halle erschien, ist zu lesen: „Einige führen den Titel nebst würcklicher Bedienung; etliche hingegen haben nur den blossen Titel, daher man unter andern die würcklichen Räthe von den Titular-Räthen zu unterscheiden pfleget.“ (Zedler 1731–1754, Band 44, Spalte 474) Ein Ehrentitel erlosch auch nicht, wenn der Regent verstarb, der ihn verliehen hatte. So wurde zum Beispiel Carl Heinrich Schwabe (1717–1782), der in der Geschichte der 1743 in Leipzig gegründeten Großen Concerte eine wichtige Rolle spielte, unter Kurfürst Friedrich August II. zum Titular-Bergrat ernannt. In den „Hof- und Staats-Calendern“ wird er auch nach dessen Tod und dem Tod des Nachfolgers weiterhin mit diesem Titel angeführt. Auch für Johann Sebastian erlosch der Capellmeistertitel des Hofes von Anhalt-Köthen nach dem Tod des Regenten, der ihn verliehen hatte, nicht. Dieser starb 1728. Auf dem Titel der 1730 „in Verlegung des Autoris“ gedruckt erschienenen Partita in G-Dur (BWV 829) ist zu lesen, dass dieses Werk von „Johann Sebastian Bach, Hochfürstlich Anhalt-Cöthnischen würcklichen Capllmeister“ komponiert wurde.
Ein ungerechtfertigtes Tragen von Titeln konnte sehr unangenehme Konsequenzen haben: „Man findet hin und wieder thörigte Leute in der Welt, die sich vor dasjenige ausgeben, so sie doch nicht sind, sie legen sich diejenigen Gradus, Prädicata und andere Titulaturen bey, die sie doch nimmermehr erhalten, und auch öffters nicht erhalten werden […]. Wird aber ihre wahre Gestalt vor der Welt öffentlich kund und aufgedeckt, so ist auch nachgehends ihre Schande um desto grösser, […] haben auch noch, ohne die Schande, nicht selten eine harte und empfindliche Straffe zu erwarten, welche nach dem Unterscheid des Verbrechens, und der Titulaturen, die sie sich zugeeignet, unterschieden zu seyn pflegt.“ (Zedler 1731–1754, Band 44, Spalten 482 f.)
Durch den Hof Sachsen-Weißenfels erhielt Johann Sebastian einen weiteren Capellmeistertitel. 1729 unterschrieb er ein Zeugnis mit den Worten „Joh: Sebast: Bach. Hochf. Sachsen Weißenfels. wie nicht weniger Hochf. Anhalt Cöthenisch. Capellmeister“. (Dok I, Seite 129) In der von ihm verfassten Genealogie, die auf 1735 datiert wird, ist zu lesen: „Joh. Sebastian Bach […] 1723. als Director Chori Musici u Cantor an der Thomas Schule nacher Leipzig vocirt; allwo er noch bis jetzo nach Gottes H. Willen lebet, u zugleich von Haus aus als Capellmeister von Weißenfels u Cöthen in function ist.“ (Dok I, Seite 259)
Da Anna Magdalena Bach die „die Würde ihres Mannes“ trug, hatte sie das Recht, mit Frau Capellmeisterin angesprochen zu werden. (Siehe Abbildung)
Abbildung: Anrede für Anna Magdalena Bach in einem Dokument vom 25. Mai 1742
(Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv, Mus.ep. Bach, A.M. Varia 1)
Höfische Titel waren eine besondere Anerkennung und fanden besondere Würdigungen. So gab es in den Adressbüchern von Leipzig eine besondere Rubrik: „Von Personen, so mit besondern, auch auswärtigen Dignitäten und Tituln beehret sind“. In ihr erscheint Johann Sebastian Bach regelmäßig.
Vor allem boten solche Titel aber auch Schutz und da fehlte Johann Sebastian noch ein wichtiger – ein Titel seines Landesherren, dem Kurfürsten von Sachsen. Um einen solchen bewarb er sich 1733. In seinem Schreiben ist unter anderem zu lesen: „Ich habe einige Jahre und bis daher bey denen beyden Haupt-Kirchen in Leipzig das Directorium in der Music gehabt, darbey aber ein und andere Bekränckung unverschuldeter weise auch iezuweilen eine Verminderung derer mit dieser Function verknüpfften Accidentien empfinden müßen, welches aber gänzlich nachbleiben möchte, daferne Ew. Königliche Hoheit mir die Gnade erweisen und ein Praedicat von Dero Hoff-Capelle conferiren, und deswegen zu Ertheilung eines Decrets, gehörigen Orths hohen Befehl ergehen laßen würden“. (Dok I, Seite 74) Er bat also ganz eindeutig um ein „Praedicat“, also einen Titel. Er bewarb sich nicht um eine Anstellung. Die Sache zog sich hin, aber seiner Bitte wurde nachgekommen. In einem Decret wird 1736 mitgeteilt, dass „Johann Sebastian Bachen, auf deßen beschehenes allerunterthänigstes Ansuchen, und umb seiner guten Geschickligkeit willen, das Praedicat als Compositeur bey Dero HofCapelle, allergnädigst ertheilet“ wird. (Dok II, Seite 278) Schon kurze Zeit später nutzte Johann Sebastian die Möglichkeiten dieses Titels und ersuchte den Dresdner Hof bei einer Unstimmigkeit in Leipzig um Beistand. (Dok I, Seite 101 ff.)
Wenn Johann Sebastian von der Obrigkeit in Leipzig sprach, meinte er damit nicht zwingend den Rat. Es gab dort eine dreifache Jurisdiktion. Die Stadt, die Universität und das Konsistorium hatten voneinander unabhängige Rechtssprechungen. (Iccander 1725, Seite 72) Das Konsistorium war für kirchliche Belange zuständig. Ihm war Johann Sebastian unterstellt, weil er für die Musik in den Hauptkirchen verantwortlich war. Als Lehrer der Thomasschule war der Leipziger Rat sein Vorgesetzter. Johann Sebastian war auch verantwortlich für den „Alten Gottesdienst“ an der Universität und galt somit als „Universitäts-Verwandter“. (Dok II, Seiten 105 und 155) Diese dreifache Jurisdiktion nutzte er auch aus. So bat er zum Beispiel 1727 bei einer Auseinandersetzung mit dem Konsistorium den Leipziger Rat um Unterstützung. (Dok I, Seiten 54 ff.) Alle drei Instututionen waren dem Kurfürsten unterstellt.
Die Länge der Zeit bedenkend, die Johann Sebastian in Leipzig lebte, sind es nicht besonders viele Auseinandersetzung, die aktenkundig wurden. Ein Dauerstreit ist, zumindest von der Aktenlage, nicht belegbar.
Es hat den Anschein, dass Johann Sebastian mit seinen höfischen Titeln erreichte, was er vorhatte. Es wurde für Institutionen, die ihm vorstanden, zunehmend schwerer, gegen seinen Willen zu agieren. Das bestätigen mir auch die Worte eines Ratsherren, der nach dem Tod von Bachs Nachfolger 1755 anmahnte, „daß das Cantorat auf vorigen Fuß, wie bey Herrn Kunauen [Bachs Vorgänger] gesezet werde und der neüe sowohl die Music als auch die Information beobachte, immaßen bey Herrn Bachen viele Desordres vorgegangen.“ (Dok III, Seite 104) Johann Sebastian war es wohl zunehmend besser möglich, sein Amt nach seinen Vorstellungen zu gestalten, während es dem Rat nicht gelang, zu seinen Lebzeiten „das Cantorat auf vorigen Fuß“ zu setzen.
In einem Brief von 1730 an seinen Jugendfreund Georg Erdmann, erweckt Johann Sebastian aber den Eindruck, dass er Leipzig verlassen und sein „Fortun anderweitig suchen wolle. (Dok I, Seite 67) Vielleicht war er damals in einer Situation, in der er unbedingt die Stadt verlassen wollte. Es sind allerdings keine Bewerbungsschreiben von ihm bekannt, mit denen er sich offiziell um andere Stellen bewarb. Vielleicht wollte er auch nur in Umlauf bringen, dass er auch gehen könnte. Letztendlich lebte und wirkte er weiter in dieser Stadt, wo er 20 Jahre später verstarb. Sohn Carl Philipp Emanuel bewarb sich 1750 und 1755 um die Stelle seines Vaters in Leipzig. (Dok II, Seite 478; Kollmar 2006, Seite 339) Anna Magdalena, die auch als Witwe die Frau Capellmeisterin war und so in Akten der Universität oder Zeitungsanzeigen betitelt ist, verließ die Stadt ebenfalls nicht. (Spree 2019, Seiten 162 ff.; Spree 2021; Seiten 260 f.) Sie starb dort am 27. Februar 1760. Ihr Sohn Gottfried Heinrich lebte bei ihr. Tochter Elisabeth Juliana Friderica zog mit ihren beiden kleinen Töchtern nach dem Tod ihres Mannes, der 1759 verstorben war, von Naumburg wieder nach Leipzig, wo sie bis zu ihrem Tod 1781 lebte. (Szeskus 2003, Seite 83) Offensichtlich hatte die Familie dann doch nicht die Absicht, Leipzig zu verlassen.
Benachrichtigung beim Erscheinen eines neuen Beitrags