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AutorenbildEberhard Spree

III. Einige Ergänzungen zum Spielfilm „Bach – Ein Weihnachtswunder“: Anna Magdalena Bach

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit Anna Magdalena Bach. Es ist von ihr keine bildliche Darstellung bekannt, was übrigens auch für ihre Kinder Gottfried Heinrich und Elisabeth Juliana Friderica zutrifft. Es fehlen Briefe oder Tagebucheinträge von ihr. Auch Berichte, die nähere Auskünfte über ihre Persönlichkeit geben, gibt es nicht mehr. Immer wenn sich bei mir trotzdem zaghafte Vorstellungen über ihr Aussehen und/oder ihr Wesen entwickeln, werden sie durch eine innere Stimme mit den Worten „es könnte aber auch ganz anders sein“ wieder zerstört. Ich gestehe aber gern, dass mir die Darstellung der Anna Magdalena Bach im Spielfilm „Bach – Ein Weihnachtswunder“ gefällt und ich kann mir gut vorstellen, dass sie so war (sie könnte aber auch ganz anders gewesen sein).

Ihre Trauer im Film um ihre verstorbenen Kinder ist berührend und es ist durchaus möglich, dass ihr Leben in diesen Jahren sehr davon geprägt war. Sie könnte aber auch von dem Glauben durchdrungen gewesen sein, dass diese Kinder die irdische Welt voller Unheil und Schmerz bereits überwunden hatten und nun in einer himmlischen, freudvollen Welt lebten. Ich nehme aber an, dass ihr beide Stimmungen nicht fremd waren.

Allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass es für diese Kinder einen Grabstein auf dem Friedhof gab. Das war in der damaligen Zeit nicht üblich. Über diese Begräbniskultur in Leipzig schrieb nach intensiven Forschungen 1894 der Leiter des Leipziger Stadtarchivs Gustav Wustmann: „Daß vollends jemand ein Grab durch einen Denkstein bezeichnete (eiserne Kreuze waren damals nicht in Mode), kam im Jahre ein- , zwei- , höchstens dreimal vor, in manchen Jahren, z. B. in Bachs Todesjahr, gar nicht.“ (Wustmann 1894, Seite 123)


Am Film „Bach – Ein Weihnachtswunder“ hat mich sehr gefreut, dass Anna Magdalena Bach als aktive Sängerin dargestellt wird. Lange Zeit wurde die These vertreten, es hätte in Leipzig für sie keine Auftrittsmöglichkeiten gegeben. (Darauf gehe ich detailiert in „Anna Magdalena Bach – Die Sängerin. Teile I bis IV“ ein.)  

Etwas Wesentliches vermisse ich allerdings im Film. Singen auf hohem Niveau ist keine Fähigkeit, die einfach so da ist. Die Stimme muss dafür durch regelmäßiges Übern geschult werden. Anna Magdalena ist bei vielen Tätigkeiten zu beobachten. Dass sie aber auch für sich allein üben musste, um eine gute Sängerin zu sein, ist im Film nicht dargestellt. Dafür brauchte sie zeitliche Freiräume und dafür musste es in ihrem Hauswesen Dienstpersonal geben, dem sie vorstand. (Siehe dazu „Gab es Gesinde im Haushalt der Familie Bach? Teile I und II“) Natürlich ist es nicht möglich, in einem Film all diese Aspekte darzustellen. Es ist aber sicher eine gute Ergänzung, um dieses Wissen in das Bild einzubeziehen, das wir uns von ihr machen.

Es war für mich auch etwas unverständlich, warum Anna Magdalena von ihrem Ehemann aufgefordert wird, in die Kirche zu kommen, um den Text einer Arie auszuprobieren. Sie nimmt dort dann auch noch ein Kleidungsstück ab. Im Dezember wäre in einer damaligen Kirche eigentlich Gegenteiliges zu erwarten. Ein Durchsingen hätte mit deutlich geringerem Aufwand und unter angenehmeren Bedingungen in der eigenen Wohnung mit einem mehrmanualigen Tasteninstrument erfolgen können. Doch das sind für mich Nebensächlichkeiten. Deutlich von nachweisbaren Fakten entfernt sich der Film aber, als Anna Magdalena durch ihren Stiefsohn Wilhelm Friedemann einen Brief erhält, in dem ihr die Berufung als Sängerin an den Dresdner Hof mitgeteilt wird. Um es ganz deutlich zu sagen: Diese Ernennung ist reine Fiktion. Wenn diese Vorstellung aber trotzdem einmal aufgegriffen wird und Anna Magdalena in ihren Entscheidungen vollkommen frei gewesen wäre, ist es für mich nicht einmal sicher, ob sie eine solche Position überhaupt gewollt hätte. Aus ihrer Zeit in Köthen wusste sie, wie das Leben an einem Hof ablief, dass dort alles von der Gnade des Regenten abhing. Verstarb er, wurde die Hofhaltung in der Regel aufgelöst, was für die Musiker die Entlassung bedeutete. Am Dresdner Hofe hätte Anna Magdalena Bach die Konkurenz von Sängerinnen aus Italien gehabt. (Staats-Calender 1735, unpaginiert) Der Kurfürst bevorzugte die italienische Oper. Die Lebenserinnerungen von Lorenzo da Ponto, dem bekannten Librettisten einiger Opern von Wolfgang Amadé Mozart, bieten, auch wenn sie nicht frei von Subjektivtät sind, einen anschaulichen Einblick in Intrigen von Sängerinnen. (Da Ponte 1991, Seiten 204 ff.)

Doch es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob sich Anna Magdalena Bach über eine Berufung uneingeschränkt gefreut hätte, denn eine solche ist nicht belegbar. Festhalten möchte ich aber auf jeden Fall, dass sie eine sehr gute Sängerin war. Für mich wird das nicht unbedingt durch ihre Anstellung am Hof von Anhalt-Köthen deutlich, da über ihre dortige Arbeit wenig bekannt ist. 1730 teilt ihr Ehemann Johann Sebastian aber einem guten Bekannten mit, dass sie einen sauberen Soprano singet“. (Dok I, Seite 68) Es bestand keine Notwendigkeit ihre diesbezüglichen Fähigkeiten zu beschreiben. Somit ist das für mich ein außerordentlicher Beleg, für ihre hervorragenden sängerischen Qualitäten, denn er war in dieser Hinsicht sehr kritisch. Sohn Carl Philipp Emanuel, um den es im nächsten Beitrag gehen soll, berichtet über ihn: „Sein Gehör war so fein, daß er bey den vollstimmigsten Musiken, auch den geringsten Fehler zu entdecken vermögend war. Nur Schade, daß er selten das Glück gehabt, lauter solche Ausführer seiner Arbeit zu finden, die ihm diese verdrießlichen Bemerkungen ersparet hätten.“ (Dok VII, Seiten 101 f.) Über Musiker, die von der Stadt angestellt waren und die bei den Kirchenmusiken mitwirkten, schrieb er dem Rat: „Von deren qualitäten und musicalischen Wißenschafften aber etwas nach der Warheit zu erwehnen, verbietet mir die Bescheidenheit. Jedoch ist zu consideriren, daß Sie theils emeriti, theils auch in keinem solchen exercitio sind, wie es wohl seyn solte“. (Dok I, Seite 61) Diese Musiker hatten Anstellungen auf Lebenszeit. Er bewirkte mit seiner Aussage also nichts. Es war ihm aber offensichtlich nicht möglich, seine Meinung bei solchen Einschätzungen für sich zu behalten.


Abbildung: Ausschnitt aus der Sopranstimme der Kantate „O angenehme Melodei“, BWV 210.1, Satz 2 (Kraków, Biblioteka Jagiellonska, Mus. ms. Bach St. 72)

 

In Leipzig hatte Anna Magdalena gemeinsam mit ihrem Mann verschiedenste Möglichkeiten vor Publikum aufzutreten. Ein Beispiel für ein Werk, dass bei solchen Gelegenheiten aufgeführt wurde, dürfte die Kantate für Sopran-Solo „O angenehme Melodei“ (BWV 210.1) sein. (Siehe „Die Sängerin Anna Magdalena Bach. Teil III“) Sie ist mit verschiedenen Texten versehen und war damit bei verschiedenen Anlässen einsetzbar. Die Abbildung, die einen Ausschnitt der Sopranpartie zeigt, gibt eine kleine Vorstellung von der Virtuosität der Sängerin Anna Magdalena Bach.



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