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AutorenbildEberhard Spree

Einige Ergänzungen zum Spielfilm „Bach – Ein Weihnachtswunder“. Teil II: Elisabeth Juliana Friderica Bach

Die Darstellung von Elisabeth Juliana Friderica Bach im Film „Bach – Ein Weihnachtswunder“ gefiel mir gut. Ihre Persönlichkeit hat so etwas Zielstrebiges. Das Kind, an dem sich die Rolle orientiert, war im Dezember 1734 (der Zeit, in welcher der Film spielt) 8 Jahre alt. Vater Johann Sebastian schrieb 1748 in einem Brief von „meiner Tochter Ließgen“. (Dok I, Seite 119) Es ist einer der wenigen Hinweise auf einen Rufnamen bei der Familie Bach und so möchte ich sie im weiteren Verlauf auch so nennen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Ließgen für die Familie zum Weihnachtsfest 1734 wirklich einen Weihnachtsbaum beschaffte, den sie an einem stark frequentierten Verkaufsstand erwarb. Im Lexikon von Zedler, das in Leipzig und Halle erschien, ist weder im 1733 herausgekommenen Band 5 (C - Ch.) der Begriff „Christ-Baum“ noch im Band 55 von 1748 (Wene - Wiee.) ein „Weyhnachts-Baum“ angeführt. Die erste mir bekannte literarische Beschreibung in Mitteldeutschland für einen Weihnachtsbaum, befindet sich in Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“. Dieser Roman erschien 1774 in Leipzig. Dort wird ein aufgeputzter Baum mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Äpfeln beschrieben, der zu Weihnachten die Kinder erfreut. Auf jeden Fall gibt es aber Hinweise dafür, dass die Familie Bach das Weihnachtsfest im privaten Rahmen feierte und es dabei auch Geschenke gab. 1740 schrieb ein Verwandter, Anna Magdalena Bach würde sich auf die Zusendung von bestimmten Blumen so freuen „wie ein kleines Kind auf den heil. Christ“ und in einem anderen Brief, dass sie Blumen „höher schäzet, als die Kinder ihren Christ Beschehr“. (Bach 2005, Seiten 144 und 148)


Auf einen Wortwechsel im Film möchte ich etwas genauer eingehen. (Es geht dabei um die geplante Aufführung des Weihnachtsoratoriums. Alle sechs, der unter diesem Namen zusammengefassten Kantaten, erklangen dann während der Weihnachtszeit 1734/35 in der Nicolaikirche, vier in der Thomaskirche.) Ließgen teilt ihrer Mutter Anna Magdalena mit: „Diesmal möchte ich mitsingen, im Chor. Ich bin jetzt alt genug.“ Diese entgegnet: „Das geht nicht. Das weißt Du.“ Ließgen sagt darauf: „Das ist ungerecht, wieso dürfen wir Frauen in der Kirche nicht singen. Ich singe besser als die meisten Jungen und Du, Du singst am schönsten von allen.“ 

Die Schüler der Thomasschule, die in diesem Chor sangen, waren sogenannten Alumnen. Nach einem 1729 durch Johann Sebastian Bach verfasster Prüfungsbericht für Alumnenanwärter waren die Prüflinge zwischen 13 und 16 Jahre alt. (Dok I, Seite 130) Im Dezember 1734 war Ließgen, wie bereits erwähnt, 8 Jahre alt. Die Alumnen lebten in der Thomasschule und ihnen wurde das Schulgeld erlassen. Dafür mussten sie singen. Das betraf nicht nur die Gottesdienste in der Thomas-, Nicolai-, Peters- und der Neuen Kirche, sondern auch Beerdigungen oder Umgänge in der Stadt. Bei Hinrichtungen war ihr Gesang Teil des geistlichen Beistands für den Verurteilten. (Siehe Spree 2021, Seiten 44 f.)

Wie belastend der Dienst für die Alumnen in den Kirchen sein konnte, zeigen Formulierungen aus der Ordnung der Thomasschule von 1733: „Wenn sie vor der Gemeinde stehen, und ihr Amt verrrichten, sollen sie niemahls das Haupt bedecken, es müste denn ihnen die Kälte unerträglich seyn. Ubrigens sollen sie sich gewöhnen die Kälte zu ertragen, und durch dieselbe die Glieder ihres Leibes abzuhärten, welches zu der Gesundheit sehr viel beyträgt. Sollte aber die Kälte nach dem Urtheile des wöchentlichen Inspectoris vor die jungen Leute zu streng seyn, so soll einer unter ihnen in der Thomas- oder Nicolai-Schule ihnen eine Predigt vorlesen, welche sie andächtig anhören sollen.“ (Ordnungen der Thomasschule 1987, Seite 18)

Als Richtzeit für eine Predigt kann von einer Stunde ausgegangen werden. Sichtbare Hinweise dafür sind Sanduhren, sogenannte Stundengläser, die an Kanzeln angebracht waren. Zum Beginn der Predigt herumgedreht war der Sand des ersten Glases nach einer Viertelstunde durchgelaufen, der des nächsten Glases nach einer halben Stunde und der des dritten nach einer Dreiviertelstunde. Der obere Teil des vierten Glases war nach einer Stunde leer. In Einzelfällen sind solche Sanduhren als Relikte einer vergangenen Zeit auch heute noch an Kanzeln zu sehen. (Siehe Abbildung)

Abbildung: Kanzel mit Stundenglas in der Schlosskirche Zeitz. In dieser Kirche wurde Anna Magdalena Bach am 23. September 1701 getauft. (Foto: Eberhard Spree, 2024)

 

In einem Schreiben führte Johann Sebastian Bach 1730 namentlich die Thomasschüler auf, die zum Chor gehörten. (Dok I, Seite 63 f.) Seine Söhne, die zu dieser Zeit diese Schule besuchten, sind nicht darunter. Sie gehörten zu den sogenannten externen Schülern und mussten den sängerischen Verpflichtungen, die zu den Aufgaben der Alumnen gehörten, nicht nachkommen.

In dem Gespräch zwischen Ließgen und ihrer Mutter berührt es mich eigentümlich, dass eine Achtjährige von „Wir Frauen“ spricht. Ärgerlich macht es mich, dass die Behauptung „Frauen dürfen nicht in der Kirche singen“ keinen Widerspruch erfährt. Es gibt durchaus Belege, dass in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland Sängerinnen solistisch in Kirchen auftraten. Sicher war das auch Jahrzehnte später noch nicht selbstverständlich. Viele Hindernisse konnten dem entgegenstehen. Doch die Behauptung, Frauen wären damals nicht in Kirchen aufgetreten, ist eine Missachtung der Leistungen von Sängerinnen, die es nachweislich taten. Von Johann Mattheson wird 1716 berichtet: „Den 17. Sept. hielt er Musik im Dom, und führte Madame Kayser aufs Chor, welches, ausser obigem Exempel, zuvor in keiner hamburgischen Kirche geschehen war, daß ein Frauenzimmer mit musiciret hätte; hinführo aber im Dom allemahl, bey seiner Zeit, geschah.“ (Mattheson 1740, Seite 203) Das Mitwirken der genannte Margaretha Susanna Kayser sowie der ebenfalls sehr bekannte Sängerin Anna Maria Schober (Gerber 1790, Spalte 706; Gerber 1792, Spalte 442) ist bei der Trauerfeier für die Landgräfin Elisabeth Dorothea in Darmstadt im Januar 1710 nachweisbar. (Sorg 2014, Seiten 230 ff.) Anna Magdalena Bach, die im nächsten Beitrag im Mittelpunkt stehen soll, wurde 1729 für ihren Anteil an der musikalischen Ausgestaltung der Trauerfeierlichkeiten für Fürst Leopold bezahlt, die in der „Stadt- und Cathedral-Kirche zu Köthen“ stattfanden. (Dok II, Seite 190) Es sollte also immer im Einzelfall untersucht werden, wie es in welcher Kirche, zu welcher Zeit und zu welchem Anlass mit dem solistischen Einsatz von Sängerinnen gehandhabt wurde.



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